Einleitung
von Michael Baldwin und Thomas Dreher
Blurting
In A & L ist
ein vervielfältigtes Heft, dessen Inhalt ein Lexikon aus Blurts
beziehungsweise "Annotations" ist. Die "Annotations" haben
die amerikanischen Art &
Language-Mitglieder Ian Burn, Michael Corris, Preston Heller, Joseph Kosuth,
Andrew Menard, Mel Ramsden und Terry Smith von Januar bis Juli 1973 verfasst.
Michael Corris und Mel Ramsden wählten für die Annotationen Begriffe
als Headlines. Nach den Anfangsbuchstaben der Headlines wurden die Annotations
(zum Teil mehrere pro Begriff/Headline) alphabetisch sortiert und nummeriert
(bis Annotation 408).
Unter jeder Annotation wurden Verweise auf andere Annotations angegeben, die
zum Querlesen auffordern: Ein Pfeil steht für eine engere Verbindung ("implication"),
"&" für eine Verkettung, eine Verbindung in einem weiteren Sinn ("conjunction").
Auf jede Headline/jeden Begriff folgt also eine Annotation, unter der eine Rubrik
mit Pfeil-Querverweisen und eine weitere Rubrik mit "&"-Querverweisen folgt.
Die Verweise werden durch die Nennung von Nummern und Headlines vorgestellt.
"Blurting in A & L"
entwickelt Ansätze des Index-Projektes weiter, dessen erste Version auf
der Documenta
5 1972 zum ersten Mal ausgestellt wurde. Das Projekt wurde von englischen
wie amerikanischen Mitgliedern von Art & Language ausgearbeitet. Der Dialog
zwischen den Mitgliedern kreiste vor allem um die Begriffe "blurting"
und "concatenation". "Blurting In A & L" setzt das Index-Projekt
der documenta 5 fort, und wurde in "Index 002 Bxal" (1973, Van Abbemuseum,
Eindhoven) am ausführlichsten und umfangreichsten ausgearbeitet. Doch wurde
das Projekt nicht mit dem "Index
002 (Bxal)" beendet. Vielmehr wurde es in verschiedenen Formen und
mit verschiedenen konzeptuellen Transformationen bis 1976 fortgesetzt (z. B.
"Dialectical
Materialism", 1974-76). Auf andere Arten wird es in der gegenwärtigen
Arbeit von Art & Language weiter entwickelt (s. Kunstforum Bd.155/2001,
S.131-135).
"Blurting In A & L"
stellt den Diskurs und die Dialogpraxis von Art & Language vor. Es handelt
sich bei diesem Diskurs um eine Hinterfragung der Funktionen des Kunstkontextes
(z. B. Annotations 39,49,194), nicht um eine Hinterfragung der Funktion von
Werken im Kunstbetrieb (vgl. Annotations 252-258).
Im Diskurs von Art & Language
werden Vorschläge für umfassendere Denkrahmen/ "frameworks"
geprüft. Die sich daraus ergebenden Ansätze bilden ein vorläufiges
Art & Language-Programm, dessen Konsequenzen am Beispiel des Kunstbetriebs
vorgeführt werden. Diese erkenntnisorientierten Denkrahmen stellen Rahmenbedingungen
des Kunstbetriebs in einer Weise in Frage, die heute so aktuell ist wie zur
Zeit ihres Entstehens. Deshalb hat sich die Leitung des ZKM zu einer Online-Fassung
entschlossen.
Die Mitglieder von Art & Language
beabsichtigen, Differenzen der Kompetenz zwischen Künstlern, Kritikern
und Zuschauern aufzuheben und den Kunstbetrieb in ein Kommunikationssystem gleichberechtigter
Diskurspartner zu verwandeln (Annotation 55). Die im Ausstellungs- und Kunstbetrieb
üblichen Weisen der Präsentation und der Codierung von Kunst sind
die Antipoden dieser diskursorientierten Vorstellung von Kunstpraxis.
Art & Language entwirft einen
(damals) neuen pluralistischen Denkrahmen und spielt die Möglichkeiten
seiner Einbettung in eine Welt durch, die die Kunstwelt sein kann, aber nicht
sein muss. Dieses Durchspielen von Möglichkeiten einer Reflexion, die Kontextbedingungen
der eigenen Praxis überprüft, führte die Mitglieder zu der Forderung,
die institutionellen Rahmenbedingungen zu ändern. Durch die Präsentation
der eigenen Kontextreflexion im reflektierten Kontext wird aus der Theorie eine
"theoretische Praxis" (Louis Althusser): Die Präsentationsform
schafft Rezeptionsbedingungen für mögliche Leser. Nicht nur der Text,
sondern auch die durch seine Präsentationsform geschaffene Lesersituation
bilden ein Modell für Reflexionsformen, die in den Diskurs über Kunst
eingeführt werden.
Die Auseinandersetzung mit Präsentationsformen
wurde für die Mitglieder von Art & Language notwendig, da sie in internen Diskussionen
die Zielvorstellung entwickelten, nicht-hierarchische und gruppenexterne Leser
aktivierende Präsentationsformen zu finden. Der Prozess der "conversational
exchanges" (Annotation 78), in dem die Mitglieder die methodischen Ausgangspunkte
von Art & Language entwickelt haben, soll von den Lesern fortgesetzt werden.
Deshalb fördert die Präsentationsform von "Blurting In A & L"
ein Leseverhalten, das zwischen präsentierten Textteilen/"Annotations"
als "surface-structures" (Annotation 338) und "set[s] of contexts"
(Annotations 10,103,236,275), die weitere Textteile offerieren, ein Wechselverhältnis
herstellt, das als dialogisch beschrieben werden kann. Das Dialogische, Intratextuelle
des Leseprozesses soll zu weiteren gruppenexternen Dialogen anregen.
Der von Art & Language geplante
Idealfall eines Feedbacks zwischen gruppenin- und -externen Dialogen liess sich
in den siebziger Jahren mit den von den Mitgliedern entwickelten Präsentationsformen
für Index-Systeme nur antizipieren, aber noch nicht befriedigend praktizieren.
Der Austausch von "blurts" wurde bei "Blurting in A & L"
in zwei Phasen organisiert: (1) als weitere, zu den bereits vorhandenen hinzukommende
Fragmente für die Koautoren, (2) als Kommunikationsbasis für andere
Mitglieder von Art & Language, die in der ersten Phase nicht beteiligt waren. Mit Ausnahme einiger Sonderfälle war das Feedback von externen Lesern gering. Zu diesen Ausnahmen kam es, weil es ein System gab, ausgefeilte und provisorische Beiträge der Gesprächspartner von Mitgliedern zu sammeln.
Erst die Webfassung von "Blurting In A & L" mit einer Seite
für User-Beiträge löst den Anspruch von Art & Language ein, den gruppeninternen
Diskurs so weit wie möglich nach außen zu tragen und das Feedback
gruppenintern zu verarbeiten. So können die Koautoren,
Nicht-Koautoren aus dem Umfeld von Art & Language und User, die nicht in
Art & Language involviert sind, miteinander auf englisch und deutsch kommunizieren (s. "Fragen").
Links:
Vorstellung des Projektes "Blurting in A & L online"
Dreher, Thomas: Art & Language & Hypertext: Blurting, Mapping and Browsing (Vorstellung von "Blurting in A & L online", ZKM, Karlsruhe, 7.7.2002)
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