Blurting In A & L

Answer 4/5

Author: Thomas Dreher  
Posted: 15.12.2002; 04:00:59
Topic: Question 4
Msg #: 626 (in response to 422)
Enclosure:
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An Michael und seine "Answer 4/4":
1.) Du schreibst: "Nur ein sich selbst disponierendes Werk kann glaubhaft die eigenen Bedingungen zu Disposition stellen." Das ist richtig, nur ist das noch keine Antwort auf meine Kritik in Answer 4/3, dass nach den siebziger Jahren neue Einsichten in die Zusammenhänge in die Institution Kunst fehlen und deshalb viele Künstler Lay-Outs von Kontextkritik für Installationen im kritisierten Kontext ausführen. Viele dieser Produkte sind nicht ephemer, sondern sammel- und in andere Kontexte übertragbar. Gutwilligen Kunstkritikern steht häufig kein anderes Vorgehen zur Wahl, als Brücken zwischen Installationsdesign und vorhandenen kritischen Ansätzen zu offerieren. Meist sehen die Installation chic aus und lesen sich die Kritiken bemüht. Dein Beitrag war, hier Beobachtungsmodelle ins Spiel zu bringen, die kontextoffen sind und zugleich - als Camera obscura-Systeme - diese Kontextoffenheit zu problematisieren. Die Rekursionen zwischen Sinnesreizen und kognitiver Verarbeitung werden in Deinen interessanteren Installationen zum Brennspiegel der Kritik am Ausstellungsort.
2.) Du schreibst: "Warum ist diese Seite auf der Plattform vom ZKM. Warum benutzt sie das Renomee dieser Institution?"
a.) Das ZKM besteht aus drei Institutionen: dem Medienmuseum, dem Sammlermuseum (Museum für Neue Kunst, MNK) und der Hochschule für Gestaltung. Das Sammlermuseum war in Stuttgart geplant und wurde von Volker Klotz nach Karlsruhe gezogen: Mit den noch freien Hallen der ehemaligen Minitionsfabrik und der Anbindung an das ZKM mit Medienmuseum und Hochschule konnte er den Sammlern einen attraktiven Kontext bieten. Außerdem lieferte er mit seiner Vorstellung von "Zweiter Moderne" ein Programm, das neue und alte Medien aufeinander bezog und so erlaubte, die Gemälde und Skulpturen der Sammlungen einzubinden.
In den Monaten nach der Eröffnung des Sammlermuseums (1999) zogen Ströme von Besuchern durch die Etagen. Das Medienmuseum war mit Net_Condition nicht schlecht besucht, konnte aber mit dem Sammlermuseum nicht mithalten. Heute ist das Sammlermuseum mäßig besucht, während zum Beispiel in Iconoclash (2002) viele Besucher im Medienmuseum zu finden sind. Die interessantesten Ausstellungen des Medienmuseums zeigen Verbindungen zwischen älteren und neuen Medien in einer Weise auf, die technik- und sozialgeschichtlich relevante Aspekte der Medientheorie zusammenführen.
Peter Weibel, der Leiter des ZKM, und Götz Adriani, der Leiter des Sammlermuseums, erschienen 1999 und später als Antigonen. Adrianis reservierte Haltung gegenüber Digitalisierung und Virtualisierung wurde in Presseberichten über den neuen Komplex ZKM/MNK mit dem Problem in Verbindung gebracht, dass die beiden Museen nur getrennt zugänglich sind. Die Abtrennung der beiden Museen lässt sich nicht umgehen, weil die Hochschule einen dazwischen liegenden Lichthof besetzt. Ein Gang im Erdgeschoss ermöglicht es Besuchern, die Distanz zwischen beiden Museen zu überbrücken, ohne das Gebäude verlassen zu müssen. Diese Trennung zwischen noch nicht digitalen Medien im MNK und Konzentration auf Phänomene der Digitalisierung im ZKM wurde durch die Haltung von Adriani zu einer programmatischen Trennung, zu einer Spaltung zwischen zwei Kunstformen. Weibels Antworten liessen an Schärfe nichts zu wünschen übrig. Die Trennung in sammelbare Objekte und projektorientierte Kunst drohte zementiert zu werden, während Übergänge aufgezeigt werden sollten. Die aktuelle Ausstellung Von Zero bis 2002 der Sammlung des MNK könnte - vor allem mit ihren "Gästen" - diesen Konflikt entschärfen und Brücken zur Ausstellung Future Cinema des ZKM schlagen. Die Videothek des ZKM, die an Wochenenden manchmal stark frequentiert ist, und Videopräsentation im MNK (Bruce Nauman, Nam June Paik, Bill Viola) zeigen, wo die Überschneidungen zwischen beiden Museen liegen. Wenig registriert wurde in der Öffentlichkeit das Open Video Archive des ZKM, das Video für alle und - anders als die Videothek - auch von jedem Netzanschluss aus zugänglich präsentiert.
Volker Klotz´ erste Präsentation des ZKM 1997 in drei restaurierten Lichthöfen des Hallenbaus mit einer integrierten Vorstufe des Sammlermuseums (zwei Lichthöfe: EG: Malerei, Fotografie, Video; 1. OG: reaktive computergestützte Installationen; 2. OG: Internet, Videospiele) hat alle Besucher enttäuscht, die eine Alternative zu den üblichen musealen Präsentationen erwarteten. Die Rückwendung zu etablierten Medien dominierte und die Vorstellung der neuesten Medien im 2. OG liess viele ratlos. Der 1997 überwiegende retrospektive Gesamteindruck des ZKM mit MNK hat sich ab 1999 geändert.
Das Netz liefert dem ZKM nicht nur Alternativen zur Ausstellungspraxis, sondern es liefert auch die wichtigsten Bedingungen für Neue Medien: Translokalität in Verbindung mit Interaktivität schaffen für alle User neue Möglichkeiten für Beobachteroperationen. Das ZKM wird zur Forschungsstelle und seine Website offeriert die Konfigurationen zeitgenössischer Datenverarbeitung und -vernetzung in überzeugender oder nicht überzeugender Weise. Die Trennung zwischen Medienmuseum und Hochschule lässt sich via Internet in öffentlich nachvollziehbare Interaktion überführen. Kosuths Vorschlag von 1970 (in: Art-Language, Vol.1/Nr.2), Kunst analog zur Wissenschaft als Forum zu betreiben, wird zum Programm und weckt Erwartungen an das Gebotene.
b.) Deine Kritik, dass auch im Netz Datenflüsse durch Aufmerksamkeitslenkung zentriert werden, und dass Projekte wie "Blurting in A & L online" solche Kontexte benötigen, wenn sie bemerkt werden sollen, ist zutreffend: Die Kultur der Aufmerksamkeitslenkung endet nicht im Netz, sondern wird dort fortgesetzt, allerdings `verzweigter´ und in stark veränderter Form gegenüber ihren Vorläufern und zeitgenössischen Konkurrenten, den Massenmedien.
Ich würde einem Künstler nicht raten, Mitschreibeprojekte nur auf der eigenen Website zu lancieren. Ob er Mitschreiber findet, weil er über Links sein Projekt an Museumsseiten anbindet, oder ob er das Projekt auf der Website eines Museums laufen lässt, ist, was den Verlauf der Datenflüsse und die Aufmerksamkeitslenkung betrifft, ein unerheblicher Unterschied.
Es macht allerdings einen Unterschied, ob ein Netzprojekt vor allem Aufmerksamkeit für Kunsthandelskunst erzeugen soll, oder ob es darum geht, User zur Reflexion und zum Mitschreiben zu motivieren, wie das hier geschieht: Der ökonomische Kreislauf, der alle Datenflüsse im Ausstellungsbereich durchsetzt, ist bei "Blurting in A & L online" unterbrochen. Mir verhilft das Projekt auch zu keiner Karriere. Da wäre jedes Mitschreibeprojekt bei Dir (und auf Deiner Website) in einem anderen Kontext! Die wiederholte Selbstlokalisierung von Künstlern zwischen "Criticality" und "Complicity" in einer an den Kunsthandel rückgekoppelten und von seinen Selektionskriterien bestimmten bis `entfremdeten´ Institution Kunst ermüdet, während viele Fragen nach vernetzten Kommunikationsmedien offen sind und aktuelle Probleme beinhalten, die eine Abgrenzung eines Kunstbereichs von anderen Datenkontexten sinnlos machen.
3.) Die Volte, meine Kritik an Kontext Kunst gegen "Blurting in A & L online" und damit auch gegen mich zu wenden, ist eine interessante Idee, nur leider könnte sie, was das ZKM betrifft, kenntnisreicher ausgeführt sein. Thomas Dreher (TDreher@onlinehome.de)