Blurting In A & L

Antwort 2/5

Author: Thomas Dreher  
Posted: 25.08.2002; 15:28:05
Topic: Question 2
Msg #: 577 (in response to 418)
Enclosure:
Prev/Next: 576/578
Reads: 91258

Antwort auf 2/4:
Lieber Michael,
mich wundert, dass diese Frage von Dir kommt: 1.) Ist nicht der ästhetische Diskurs, fixiert auf die Frage der Abgrenzung zwischen Kunst und Nicht-Kunst, an Kontext Kunst bislang gescheitert, und sind nicht Henry Flynt´s "Concept Art", "Art-Language" (die Zeitschrift von Art & Language) und Joseph Kosuth´s "Art after Philosophy" (mit seiner Kritik an Hegel und Greenberg/Fried) hinreichend (aber offenbar noch nicht genug) bekannte Antworten darauf?
2.) Im ästhetischen Diskurs wird
a.) der ästhetische Gegenstand als besondere Form der Beobachtung(soperation) bestimmt,
b.) diese Form der Beobachtung mit Fragen der Bestimmung von Kunstformen verbunden,
c.) wird a.) und b.) in Kunsttheorien möglichst plausibel verbunden.
Das Problem mit c.) hat Wolf Vostell problematisiert: Ihn interessiert die ästhetische Anschauung von Gewalt, Terror und ihre Differenz zu sozialen und politischen Kriterien: Gleichsam über die Umlenkung zur ästhetischen Anschauung führt er wieder zu sozialen und politischen Problemen zurück. Vostell ermöglicht es, gesellschafltiche Probleme in einem neuen Licht zu sehen. Das Vergnügen an der Ästhetisierung des Schreckens (einschließlich allen Form von gewalt) ist nur eines aus der Distanz, dass für teilnehmer seiner Aktionen aus Naherfahrung, aber für Betrachter seiner Decollagen, wieder zum Kontext zurückführt, während die Massenmedien Beobachter in dieser Distanz halten: Don´t engage! Wolf Vostell hat gleichzeitig seine Aktionen immer offensiv in Bereichen und mit Teilnehmern ausgeführt, die über deren Kunstcharakter im Zweifel sein mussten, und er hat diesen Zweifel durch seine Theorie der Nicht-Kunst geschürt. Die Theorie ist nur eine pamphlethafte und ist auch nur als strategische Maßnahme sinnvoll: Sie zeigt, dass Beobachtungsformen jeder Art nicht der Kunst vorbehalten sind, und Vostell nutzt die Noch-Nichtdefinition der sechziger Jahre von Präsentationsformen in der Zeitdimension (und von Partizipationsformen) als Kunst(gattung).
3.) In "Performance Art nach 1945" kritisiere ich Einschränkungen von Kunst auf bestimmte Präsentationsformen und auf Kunstbeobachtung. Kunst offeriert Modelle für (Weisen der) Weltbeobachtung in einer Art, wie es Expertenkulturen (akademischer Diskurs im Rahmen von Fakultäten, naturwissenschaftlicher Diskurs im Rahmen von Problemlösungen für Spezialisten) nicht können. Zugleich sind auch Expertenkulturen auf erweiterte Horizonte angewiesen, ohne hier wieder Spezialisten werden zu können: Eine Reihe von Problemen entziehen sich den Diskursformen der Spezialisierung, so zum Beispiel die Frage der Definition von Urbanität: Jede Disziplin definiert Urbanität letztlich durch die Methoden, die sie zur Untersuchung von Formen der Urbanität anwendet, und hat damit die Reduktion auf ihre Beobachtungsform akzeptiert (gelingt es Richard Sennett, diesem Problem zu entgehen?). Ist Urbanität nicht ein wichtiges Thema von Kontext Kunst, und sind die Probleme zwischen Expertenkulturen und urbanen Formen/Medien nicht Analogien zu den Problemen zwischen Kunsttheorien und Kunstformen/-medien?
4.) Neue Technologien offerieren neue Möglichkeiten für Beobachter- und Beobachtungsoperationen, auf die Künstler reagieren. Wenn sie die neuen Möglichkeiten nicht durch Transformationen in etablierte Kunstformen integrieren, sondern einen Sprung in neue Medien und Beobachtungsweisen wagen, fallen sie aus allen Absicherungen durch Kunstkontexte (Kunsttheorien und Ausstellungsmöglichkeiten) heraus. Die Lösung, zu warten, bis der ästhetische Diskurs (s. 2.) aufgeholt hat, ist durch das Eingeständnis des ästhetischen Diskurses, nicht mehr nachzukommen, ersetzt worden. Außerdem waren für die Literatur Fragen der Grenzbestimmung zwischen Poetizität und Alltagssprache immer fließend. Zudem interessiert sich die Werbung heute mindestens ebenso für poetische Sprachverwendungen wie die Literatur, die wiederum lieber auf Codes der Alltagssprache reagiert, nicht unbedingt in einer von dieser klar untertscheidbaren Weise (und teileise wird Literatur gerade in der Ununterscheidbarkeit interessant. Als kennt Kunst dieses Problem nicht dank Ready-Mades). Nur in der Kunst ist durch Malerei, Skulptur und Zeichnung das Abgrenzungsproblem aktuell, und das bis heute (Objekt Kunst wird einfach zur neuen Gattung, dabei stimmt des Problem der Gattungs- =Kunstdefinition nicht): Ich kann die Absurditäten des Kunstdiskurses (von Greenberg bis Danto) manchmal nicht glauben: Maler, werdet Anstreicher, Plakat- (siehe Tom Wesselmann) und Schildermaler!
5.) Aus jeder Kunsttheorie, die eine Ebene zur Abgrenzung von Kunst und Nicht-Kunst vorschlägt, lässt a.) das Problem der Erweiterung durch Transgression b.) das Problem des Ausschlusses qua angemasster Definitionsautorität beiseite. Die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst taugt nicht für normative Ästhetik, da sie laufend verschoben werden kann und nur in der Möglichkeit der Grenzverschiebung und der nichtautoritären Diskussion über sie Sinn macht: Den `Sinn´ machen viele und die vielen arbeiten - hoffentlich - Kanonisierung entgegen. Theorien der Grenzziehung und der Grenzverschiebung (der In- und Exklusion, der Intertextualität als Dialogizität ohne Grenzaufhebung) sind nicht kunstspezifisch, aber kunstrelevant.
6.) Gib alte Vorstellungen von der Profession Künstler auf! Der Kunsthandel braucht möglichst statische Formen der Aus- und Eingrenzung, und Künstler, die sich professionalisieren (das heißt mit Kunst ihren Lebensunterhalt verdienen wollen), setzen auf die Diskursformen, die der Markt fördert. Das ist nun mal der Tod des intellektuellen Spaßes an der Kunst. Ich lass mir diesen Spaß nicht vom Kunsthandel verderben. Auch deshalb: NetArt!